Drei Jahre in Österreich: Interview mit Yuliia Iliukha
Wer bist du? Wie hat sich dein Leben nach der Invasion und dem damit verbundenen Umzug nach Österreich verändert?
Mein Name ist Yulia Iliukha. Ich bin Schriftstellerin und habe einen zwölfjährigen Sohn und einen Ehemann, der früher Hauptmann der ukrainischen Streitkräfte war. Aufgrund einer Verletzung wurde er allerdings demobilisiert. Wie bei allen Ukrainer:innen, hat sich auch mein Leben nach der Invasion stark verändert, da ich aus Charkiw stamme. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens in dieser Stadt gelebt und wollte nicht wegziehen. Ein Umzug innerhalb der Ukraine, wie beispielsweise nach Kiew, war denkbar, aber ich wollte auf keinen Fall nach Westeuropa auswandern.
In den ersten Monaten nach der Invasion blieb ich in Charkiw, weil mein Mann in der Armee war. Ich habe die ukrainischen Streitkräfte bereits zu diesem Zeitpunkt für einige Jahre als Freiwillige unterstützt. Nach der Invasion setzte ich diese Tätigkeit fort. Im Mai erhielt ich jedoch das Angebot an einem Kunst-Residency mit dem Schwerpunkt Literatur in Österreich teilzunehmen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich es annehmen sollte. Schlussendlich habe ich mich für diesen Aufenthalt entschieden. In erster Linie wegen meinem Sohn, um ihn für einen bestimmten Zeitraum aus der Ukraine zu holen. Zuerst verbrachten wir einen Monat in Krems und dann kamen wir nach Graz. Ein dreimonatiger Aufenthalt war anfangs geplant. Allerdings sind wir immer noch hier. Nach dem ersten Aufenthalt bekam ich eine Verlängerung und weitere Stipendien. Wir sind also immer noch als Familie hier. Jetzt ist mein Mann gekommen, um uns zu besuchen. Er kommt in regelmäßigen Abständen, weil er die Ukraine verlassen kann, da er bereits demobilisiert wurde.
Mein Aufenthalt in Österreich hat auch meine Karriere beeinflusst. Das war sehr unerwartet, aber sehr positiv. Hier in Graz habe ich mein letztes Buch über Frauen im Krieg, mit dem Titel „Meine Frauen“, geschrieben. Dieses Buch war in der Ukraine sehr erfolgreich. Im Jahr 2024 wurde es mit dem BBC Book of the Year Award ausgezeichnet. Gestern wurde es zudem in die engere Auswahl für den Literaturpreis der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung genommen.
Wie oft reist du in die Ukraine und warum ist das für dich wichtig?
Das letzte Mal war ich im Sommer 2023 in der Ukraine. Im Sommer 2024 war es meinem Sohn und mir, aufgrund von Aufenthaltsregelungen, nicht möglich. Dieses Jahr planen wir gemeinsam zu fahren.
Warum? Weil meine Eltern und mein Mann dort leben. Auch unsere Katze ist dort und lebt jetzt bei meinen Eltern. Man muss verstehen, dass die ukrainische Bevölkerung vor dem Krieg geflohen ist und nicht auf der Suche nach einem besseren Leben in Österreich oder anderen europäischen Ländern ist. Wir hatten ein normales Leben vor dem Krieg, wir hatten normale Arbeitsplätze, wir lebten in Städten und Dörfern mit normaler Infrastruktur und in normalen Wohnungen. Kurz zusammengefasst, hatten wir ein normales Leben und wir, die Mehrheit der Ukrainer:innen, wollten dieses Leben nicht woanders suchen.
Deshalb kommen viele Menschen für eine Weile zurück. Entweder dauerhaft um Verwandte zu besuchen oder um eine Art Verbindung zur Ukraine aufrechtzuerhalten. Ich bin mir auch sicher, dass viele Menschen nach Kriegsende zurückkehren werden.
Welche neuen Verbindungen und Netzwerke haben sich in Österreich bereits ergeben?
Mein Sohn besucht aktuell eine weiterführende Schule. In seiner vorherigen Schule war es schwierig für ihn Freund:innen zu finden, weil er kein Deutsch spricht. In seiner neuen Schule hat er bereits zwei Freund:innen, beide Österreicher:innnen. Sie sprechen Englisch und Deutsch. Nach der Schule spielen sie fast jeden Tag gemeinsam Online-Spiele.
Ich habe auch neue Freund:innen gefunden. Sie sind Österreicher:innen, obwohl ich vor allem mit ukrainischen Frauen des ukrainischen Kulturvereins Ridna Domivka in Graz kommuniziere. Dank des Residency-Prorgamms der Kulturvermittlung Steiermark und dem österreichischen Verlag, mit dem ich zusammenarbeite, konnte ich Kontakte im Kunst- und Kulturbereich knüpfen.
Wie denkst du über die Zukunft in Österreich? Willst du hier leben, fühlst du dich mit dem Land verbunden und fühlst du dich bedroht, wenn du von den möglichen Änderungen der Aufenthaltsgenehmigungen für Ukrainer:innen hörst?
Das ist wahrscheinlich die schwierigste Frage für mich, denn nach dem Beginn der russischen Großinvasion habe ich aufgehört langfristige Pläne zu machen, weil es sinnlos ist und sich alles ständig verändern kann. Für mich ist es noch immer seltsam, wenn mich beispielsweise Verlage im Ausland zu Veranstaltungen für den Herbst einladen. Der Herbst ist noch so weit weg für mich. Das muss ich erst mal erleben.
Wie gesagt, es ist sehr schwierig Pläne zu schmieden, denn die Situation in der Ukraine ist völlig unvorhersehbar. Auch abseits der Ukraine ist alles unvorhersehbar, unkontrollierbar und niemand kann vorhersagen, was morgen passieren wird. Zumindest bis zum Ende dieses Schuljahres bleiben wir hier in Graz. Mein Sohn lernt Deutsch und auch ich versuche Deutsch zu lernen, um mich im Alltag verständigen zu können. Ich war zuvor noch nie in Österreich und hatte keine Ahnung, dass es ein so schönes Land mit toller Architektur und schönen Städten ist. Wien ist eine meiner Lieblingsstädte. Ich mag die Natur dort, die Donau und die Berge, und ich hatte einfach keine Ahnung, dass ich hier auf so freundliche und hilfsbereite Menschen treffen würde.

© The Schubidu Quartet