Ruhepunkt im Herzen von Wien
Die Artist Residency im MuseumsQuartier Wien wurde aufgrund des Krieges auch für ukrainische Künstler:innen geöffnet
Ein Interview mit Larissa Agel, Geschäftsführerin und Projektmanagerin bei tranzit.at und Teil des Office Ukraine Teams
Larissa, du bist Teil des Office Ukraine, betreust aber auch das Artist-in-Residency Programm im Wiener MuseumsQuartier. Könntest du uns mehr über die Verbindung erzählen?
tranzit.at ist der in Wien ansässige Teil des tranzit-Netzwerks. Wir sind ein Verein für zeitgenössische Kunst, der hauptsächlich Projekte an den Rändern von Europa durchführt. Gemeinsam mit rotor in Graz und dem Künstlerhaus Büchsenhausen in Innsbruck und mit der Unterstützung des BMKÖS haben wir das Office Ukraine. Shelter for Ukrainian Artists gegründet.
tranzit.at hat aber neben dem Office Ukraine auch andere Projekte. So betreuen wir unter anderem auch das Artist-in-Residence Programm im MQ, das auf Initiative der ERSTE Stiftung schon seit 2003 besteht.
Könntest du ein wenig über die Residency erzählen? Wann wurde sie gegründet, aus welchen Gründen und wie viele Künstler:innen haben sie absolviert? Was ist der Schwerpunkt der Residency?
Das Artist-in-Residence Programm im Q21/MuseumsQuartier in Wien ist Teil der langjährigen Partnerschaft von tranzit mit der ERSTE Stiftung. Es unterstützt das konsequente Bestreben der Stiftung, zeitgenössische Kunst zu fördern und die fragilen Situationen der Kunstschaffenden, insbesondere in den Regionen Mittel-, Ost- und Südosteuropa, zu stärken. Die Residency besteht seit 2003 und gilt damit als unmittelbare Reaktion auf die Gründung des tranzit Netzwerks in 2002. Seit damals haben sicher über 150 Künstler:innen teilgenommen. Das Programm richtet sich an Künstler:innen und Kurator:innen aus den Ländern, in denen tranzit aktiv ist – also Slowakei, Tschechien, Rumänien und Ungarn. Seit 2019 kamen auch noch Slowenien und Kroatien dazu, um auch noch die anderen zentralen Langzeitpartner der Stiftung miteinzubeziehen. Die Igor Zabel Association hat ihren Sitz in Ljubljana und die Kontakt Sammlung arbeitet mit der in Zagreb ansässigen WHW Akademija zusammen.
Gibt es einen speziellen Fokus? Müssen die Künstler:innen bestimmte Aufgaben erfüllen?
Den eingeladenen Künstler:innen wird ganz bewusst die Möglichkeit gegeben, in ihrem jeweiligen Bereich gezielten Research zu betreiben. Der dezidierte Forschungscharakter dieses Residence Programms soll es ermöglichen, vom aufreibenden Produktionsdruck des Künstler:innen-Alltags Abstand zu nehmen und die notwendige Zeit zu finden, sich auf ein bestimmtes Interesse zu konzentrieren. Den Teilnehmer:innen wird es ermöglicht, für die Dauer von zwei Monaten in einem der MuseumsQuartier-Studios mitten im Herzen Wiens zu leben und zu arbeiten. Gemeinsam mit unseren Kolleginnen vom MQ unterstützen wir sie auch dabei, die für sie wichtigen Kontakte herzustellen und sich mit der lokalen Kunstszene zu vernetzen.
Eugen Arlov
Wie viele Ukrainer:innen gab es vor und nach dem Krieg?
Die Residency war bisher nur auf die soeben genannten Länder ausgerichtet. Angesichts der Dringlichkeit haben wir jedoch 2022 beschlossen, unsere Solidarität mit der Ukraine und den Menschen, die den anhaltenden Krieg dort ertragen, oder davor fliehen müssen, zum Ausdruck zu bringen. Daher haben wir das Artist-in-Residence Programm für ukrainische Künstler:innen und Kurator:innen geöffnet und ihnen die erste Hälfte des Jahres 2023 gewidmet. Drei Residency Plätze konnten somit für jeweils zwei Monate zur Verfügung gestellt werden. Doch auch im Jahr 2022 konnten wir durch einen spontanen Ausfall eines Künstlers den ukrainischen Künstler Anatoly Belov in unser Programm aufnehmen und ihm zwei Monate im Museumsquartier ermöglichen.
Welche ukrainischen Künstler:innen nehmen in diesem Jahr teil, und welche Art von Kunst machen sie?
Eugen Arlov, Serge Klymko und Anna Sorokovaya sind die drei Künstler:innen und Kurator:innen aus der Ukraine. Eugen Arlov ist ein new media artist, performer und sound artist aus Kyiv. Er verarbeitet historische, soziale und politische Kontexte. In seiner Praxis wendet er sich oft dem Raum und der menschlichen Interaktion mit ihm zu und schafft so immersive Räume.
Serge Klymko
Serge Klymko arbeitet als Kurator, Kulturmanager, Researcher und Autor an der Schnittstelle von visueller und performativer Kunst und Musik. Er ist Geschäftsführer und Kurator der Kyiv Biennale – einem internationalen Forum für Kunst, Wissen und Politik, das Ausstellungen und Diskussionsplattformen zusammenbringt. Seit 2015 ist Serge Klymko Gründer und Kurator des interdisziplinären Raums Khashi für performative Kunst und urbane Ökosystemforschung in der Ukraine. Im März 2022 gründete er ESI _ Emergency Support Initiative für ukrainische Kulturschaffende, die durch den Krieg in Not geraten sind. Das Ziel der Initiative ist es, die im Land verbliebenen Menschen zu unterstützen und ihnen unter den Bedingungen der Besatzung und/oder Umsiedlung sofortige finanzielle Hilfe zu gewähren.
Anna Sorokovaya
Anna Sorokovaya ist eine bildende Künstlerin, die mit Objekten, Installationen und Fotografie arbeitet. Sie verwendet in ihrer künstlerischen und kuratorischen Praxis einen interdisziplinären Ansatz. Sie ist interessiert an sozialen und politischen Phänomenen – an der Art und Weise, wie Narrative und Erinnerungspolitik konstruiert werden.
Wie erfährt man etwas über den Bewerbungsprozess? Wer kann sich bewerben? Und wie funktioniert das Auswahlverfahren?
Der Residency Call wird jedes Jahr im Spätsommer online gestellt. Nähere Informationen dazu werden auf der tranzit-Website veröffentlicht und auch über die Kanäle der anderen Kooperationspartner. Die Einreichenden werden gebeten, ein Formular auszufüllen, in dem nach generellen Eckdaten gefragt wird, einem kurzen Motivationsschreiben, warum sie sich bewerben, sowie nach ihrem CV. Diese Informationen werden gemeinsam mit einem Portfolio eingereicht und schließlich von der Jury begutachtet. Die Jury setzt sich zusammen aus den Vertreter:innen des tranzit Netzwerks, Igor Zabel Association und Kontakt Sammlung, gemeinsam mit WHW Akademija, sowie der ERSTE Stiftung. Es freut mich sehr, dass ich bei der Auswahl der ukrainischen Bewerbungen die langjährige Expertise von tranzit.at einbringen kann.