Kunst, die Krieg sichtbar macht
Der 24. Februar in Innsbruck und Umgebung
Nicht zu vergessen und Krieg nicht als Normalzustand hinzunehmen – unter diesem Motto initiierte und (ko)organisierte das Innsbrucker Büro von Office Ukraine eine Reihe von Projekten und Veranstaltungen anlässlich des 24. Februars. Auch ein Jahr nach Beginn der groß angelegten Invasion zählen Luftschutzwarnungen und Beschuss, Angst und Vertreibung nach wie vor zum Alltag der Ukrainer:innen.
Um den Alltag des Krieges auch im in vermeintlich sicherer Entfernung gelegenen Innsbruck sichtbar zu machen, hat die ukrainische Künstlerin und Grafikdesignerin Kristina Kapeljuh in Zusammenarbeit mit Office Ukraine die Plakatserie “365 Tage Krieg” entworfen. Kapeljuh, derzeit als Artist in Residence in der Architektur- und Kunstschule bilding tätig, bereitete statistische Daten über den Krieg und seine Auswirkungen grafisch auf, druckte diese im Risodruckverfahren und fügte sie zu vier unterschiedlichen Plakaten zusammen. Die Plakate waren ab dem 20. Februar 2023 zwei Wochen lang in den Straßen Innsbrucks zu sehen. Die aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragenen Zahlen und Fakten geben ein Bild über die humanitären, sozio-ökonomischen und politischen Auswirkungen und Hintergründe des russisch-ukrainischen Krieges. Wie viele Menschen sind geflüchtet? Wie weit ist der Krieg von uns entfernt? Wie oft wird der Alltag in der Ukraine von Luftschutzwarnungen unterbrochen? Die Zahlen helfen, sich das Ausmaß und die Realität des Krieges vor Augen zu führen. Denn hinter jeder Zahl stehen persönliche Schicksale, Verluste, zerstörte Zukunftsperspektiven und verlorene Menschenleben. Auf der Website des Projekts können die Quellen sowie weitere Hintergrundinformationen nachgelesen werden.
Kristina Kapeljuh: 365 Tage Krieg, Plakatserie, 2023.
Foto: Daniel Jarosch
Kristina Kapeljuh: Grafik im Risodruckverfahren, aus der Plakatserie 365 Tage Krieg, 2023.
Wie schwierig es ist, Worte für das Erlebte zu finden und es bildlich darzustellen, davon erzählt auch das kurz vor dem Jahrestag fertiggestellte Mural “Ohne Titel, ohne Plan” des in Saporischschja aufgewachsenen Künstlers Miki-Mike 665. An der Wand der Unterführung der Universitätsbrücke Süd schafft er ein intensives Storytelling, das sich auf einem schwarzen Hintergrund entfaltet – eine Anspielung auf die Unklarheit und Unmöglichkeit, gegenwärtig die Zukunft darzustellen. Die figurativen Motive zeigen uns die Realität, mit der die Menschen in der Ukraine seit Beginn des Krieges konfrontiert sind – ein Mann, der ein Fahrrad mit einer Box mit Starlink-Aufschrift schiebt, eine Frau aus der ländlichen Ukraine, bereit, sich zu verteidigen, ein Kind aus der vom Krieg verwüsteten Stadt Isjum, das sich über eine Schachtel Süßigkeiten freut. Aber Miki-Mike 665 zitiert auch den lokalen historischen und zeitgenössischen Kontext: Neben den ukrainischen Protagonist:innen entdecken die Betrachtenden Vater und Sohn, ein Denkmal, das den Tiroler Freiheitskämpfen von 1809 gewidmet ist, und einen Touristen, der durch ein Fernrohr schaut.

Foto: Daniel Jarosch
Miki-Mike 665: Ohne Titel, ohne Plan.
Foto: Daniel Jarosch
Durch den Krieg in der Ukraine scheint die geografische Entfernung zu Österreich kleiner geworden zu sein. Doch trotz der vor allem in den ersten Kriegsmonaten ausführlichen Berichterstattung in lokalen Medien bleiben einige Fragen unbeantwortet. Wie sah der Alltag der Menschen in der Ukraine während dieser 365 Tage aus und wie schaffen sie es, weiterzumachen? Wie kann man die völlige Zerstörung des eigenen bisherigen Lebens überstehen, ohne verrückt zu werden? Kann man sich an regelmäßig über den eigenen Kopf fliegende Raketen gewöhnen (was in der gegenwärtigen Situation permanent wiederkehrender Blackouts tatsächlich einfacher ist)? Die derzeit in Innsbruck lebende ukrainische Vertriebene und Mitarbeiterin von Office Ukraine Ira Kurhanska führte in der Radiosendung “Russlands Krieg gegen mich” durch die Lebensrealität der Menschen in und aus der Ukraine. Die im Austrian Cultural Broadcasting Archive nachzuhörende Sendung lässt uns eintauchen in das, was das ganze Jahr unter der Oberfläche der lokalen Nachrichten zu diesem Thema geschah – Musik und DJ-Tracks über den Krieg, Tagebücher und Gedichte, Stand-Up-Comedy-Auszüge und TikTok-Shorts, Memes und Fakten.
Auch die Kinoleinwände wurden in der Woche des 24. Februars mit Bildern aus der Ukraine bespielt. In Kooperation mit dem Leokino Innsbruck wurde eine Videoarbeit der ukrainischen Filmemacherin Zoya Laktionova gezeigt – und das mehrmals. Am 24. Februar war vor jeder Filmvorführung im Leokino und Cinematograph der Kurzfilm “Remember the Smell of Mariupol” als Vorfilm zu sehen. Am Abend, vor der Premiere von Signs of War, sprach die Filmemacherin via Zoom über die Entstehung und die Hintergründe des Films. Ebenfalls freuen wir uns, dass Kunstraum Schwaz unserem Aufruf gefolgt ist, und in Zusammenarbeit mit Office Ukraine ein Screening am 23. Februar organisierte. Der 2017 erschienene Film “The Distant Barking of Dogs” zeigt das Leben einer alten Frau und ihrer Enkel in einem an der Frontlinie gelegenen Dorf im Donbass. Simon Lereng Wilmont begleitete die Protagonist:innen über einen Zeitraum von einem Jahr und zeigt auf, was es bedeutet, in einem Kriegsgebiet aufzuwachsen.
Ira Kurhanska im Gespräch mit der Filmemacherin Zoya Laktionova.
Foto: Andrei Siclodi.
Wichtig war uns an diesem Tag zu betonen, dass wir auch in den kommenden Monaten als Anlaufstelle für ukrainische Kulturakteur:innen in Westösterreich zur Verfügung stehen werden – und dass nach wie vor Bedarf an Unterstützungs- und Kooperationsangeboten vonseiten der österreichischen Kulturinstitutionen und -akteur:innen besteht. Wir hoffen, dass die Kriegsgeschehnisse auch über den 24. Februar hinaus im Blickfeld der Öffentlichkeit bleiben und wir gemeinsam mit unseren Kooperationspartner:innen zur Stärkung und Sichtbarmachung der ukrainischen Kulturszene beitragen können.