Selbstorganisierte Kunst- und Kulturinitiativen im Westen Österreichs
In diesem Monat möchten wir einige selbstorganisierte Kunst- und Kulturinitiativen im Westen Österreichs vorstellen, die von und für Ukrainer:innen, die aufgrund des russischen Krieges in der Ukraine vorübergehend vertrieben wurden und in Österreich Zuflucht gefunden haben, entwickelt wurden. Wie sind die Initiator:innen auf die Ideen für ihre Projekte gekommen? Mit welchen Hindernissen, aber auch inspirierenden Momenten sind sie konfrontiert? Wie sehen sie ihre Zukunft?
Veranstaltung der Kulturplattform Ukraine-Tirol. Foto: Kulturplattform Ukraine-Tirol
Eine erst kürzlich entstandene, aber bereits sehr aktive Initiative, ist die Kulturplattform Ukraine-Tirol. Sie wurde Ende des Jahres 2022 von Polina Zavhorodniaia und Tatiana Ataiants in Innsbruck gegründet. Beide sind bereits vor einigen Jahren nach Österreich gezogen – Polina studiert Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck und Tatiana zog ein Jahr vor der großangelegten Invasion wegen der Arbeit ihres Mannes von Odesa nach Innsbruck. Die beiden konnten seitdem aufgrund der Kriegshandlungen in der Nähe ihrer Heimatstadt nicht in die Ukraine zurückkehren. Polinas und Tatianas Einschätzung nach erhielten Ukrainer:innen, die sich seit Februar 2022 kriegsbedingt in Tirol niederließen, zwar finanzielle, rechtliche und medizinische Unterstützung von der Regierung, aber es fehlte ihnen an grundlegenden Kenntnissen darüber, wie die Dinge in Österreich funktionieren, und an einem Gefühl von Gemeinschaft, weshalb viele an Heimweh leiden.
“Als Menschen, die bereits alle Herausforderungen des Ankommens in einem neuen Land erlebt haben, konnten wir uns gut vorstellen, mit welchen Problemen die Ukrainer:innen, die 2022 flüchteten, konfrontiert werden würden”, erklärt Polina, eine der Mitbegründerinnen der Plattform. “Jede Person, die schon einmal den Entschluss gefasst hat, zu emigrieren, weiß, wie schwierig das ist. Aber stell dir vor, wie hart es ist, wenn alles von einer Sekunde auf die andere auf den Kopf gestellt wird und man keine andere Wahl hat, als sich an einem gänzlich anderen Ort ein neues Leben aufzubauen.
Mit diesen Gedanken im Hinterkopf haben wir beschlossen, die Kulturplattform Ukraine-Tirol zu gründen, um den Menschen zu helfen, sich hier ein erfülltes Leben aufzubauen. Wir wollten Brücken zwischen Ukrainer:innen und Österreicher:innen in verschiedenen Lebensbereichen bauen. Wenn die Menschen ihre Umgebung besser verstehen, die Sprache sprechen, wenn sie lernen, kreativ sein, einfach Spaß haben und andere Menschen treffen können, wird sich ihr Leben verbessern.”
Tatiana und Polina. Foto: Sofia Martseniuk
Einmal pro Woche organisiert die Plattform Treffen im Kulturzentrum Die Bäckerei – Kulturbackstube in Innsbruck. Das Format der Treffen ist vielfältig: Konversationsclubs, Kunst-Workshops, Spieleabende, Treffen mit lokalen Organisationen, Diskussionsrunden, Filmvorführungen und vieles mehr. Ihre Idee war mehr als erfolgreich: Die Plätze sind oft Wochen im Voraus ausgebucht.
“Natürlich”, fährt Polina fort, “besteht unser Hauptziel darin, den Menschen zu helfen, mit den Veränderungen umzugehen und ein erfülltes Leben zu führen. Doch hinter dieser einfachen Idee stehen tiefergehende Überlegungen. Unsere Veranstaltungen sind auf verschiedene Lebensbereiche und Bedürfnisse ausgerichtet. Wir haben Sprachclubs, die Ukrainer:innen helfen, die Sprache zu lernen und Deutsch-Sprechende zu treffen, und wir organisieren verschiedene Kunst-Workshops und Meisterkurse. Unsere psychologischen Workshops und Kunsttherapie-Angebote helfen den Menschen, sich selbst zu verstehen und zu spüren. Wir veranstalten auch Diskussionsrunden und Fragerunden mit Einheimischen und Organisationen, um den Neuangekommenen ein Verständnis für die Gesellschaft zu vermitteln und ihnen zu zeigen, wie sie sich hier ein Leben aufbauen können, an wen sie sich wenden und wo sie Hilfe suchen können. Außerdem wollen wir gemeinsam Spaß haben und veranstalten Spieleabende und Gesprächsrunden. Die Plattform ist tatsächlich erfolgreich. Das bedeutet, dass die Menschen sie brauchen und als hilfreich empfinden, was uns unglaublich glücklich macht und uns motiviert, weiterzumachen und unser Projekt weiterzuentwickeln.”
Bislang hat die Kulturplattform Ukraine-Tirol rund zwanzig Treffen mit über hundert Teilnehmer:innen organisiert.
Schon bald nach der Gründung ihrer Initiative setzte sich Polina mit Office Ukraine Innsbruck in Verbindung. Das Ergebnis: Einige ukrainische Künstler:innen, die in der Datenbank des Office Ukraine eingetragen sind und derzeit im Westen Österreichs wohnen, wurden von der Kulturplattform Ukraine-Tirol eingeladen, Kunst-Workshops für die ukrainische Community abzuhalten. Bei diesen Workshops haben die Ukrainer:innen die Möglichkeit, in entspannter Atmosphäre kreativ zu sein, neue Leute kennenzulernen und künstlerische Fähigkeiten zu erlernen. Die künstlerischen Workshops waren so erfolgreich, dass einige Künstler:innen nun überlegen, regelmäßig eigene Workshop-Reihen zu veranstalten und sich in Österreich selbstständig zu machen.
Aquarell-Workshop mit Angelina Danko im Künstlerhaus Büchsenhausen. Foto: Sofia Martseniuk
Eine von ihnen ist Angelina Danko, die Aquarellmalerei unterrichtet: “Mir wurde klar, dass wir Ukrainer:innen in diesen Tagen mehr Inspiration brauchen – etwas, das uns aufmuntern und uns Kraft geben kann. Das Zeichnen war für mich immer eine solche Kraftquelle. Durch einen glücklichen Zufall habe ich von Office Ukraine gehört und Polina und die Kulturplattform kennengelernt. Das Abhalten von kostenlosen Kursen ist für mich eine Gelegenheit, etwas in dieser Welt zu verändern. Als ich den ersten Aquarellkurs abhielt, wurde mir klar, dass die Menschen eine herzliche und aufgeschlossene Community brauchen, in der sie kreativ sein können. Ich beschloss, weiterzumachen und meine eigene kreative Initiative zu gründen, um mehr Treffen zu ermöglichen. So entstand “Creative Events Tirol”. Ich habe bereits einen eigenen Kurs abgehalten und plane, noch mehr Veranstaltungen zu organisieren. Ich arbeite gerade daran, mich in Österreich selbstständig zu machen. Ich träume von einem eigenen Atelier hier in Innsbruck, wo wir regelmäßig Kurse abhalten können.”
Auch in Vorarlberg haben drei ukrainische Künstler:innen eine Malworkshop-Reihe organisiert. Maryna Liapina, Svitlana Vardanian und Zugairat Novikova erhielten eine Projektförderung im Rahmen der BMKÖS-Sonderförderung Ukraine-Hilfe für die Durchführung einer Reihe von Malworkshops für ukrainische Frauen im vogelfreiRAUM in Rankweil.
“Wir malen alle auf eine andere Art und Weise”, erzählen die Künstler:innen, “und haben unterschiedliche Erfahrungen und unterschiedliche Berufe. Das Gemeinsame, das uns verbindet, ist die Leidenschaft für die Kreativität. So beschlossen wir, gemeinsam Zeichen- und Malworkshops anzubieten. Jeden Montag von 17:00 bis 19:00 Uhr genießen wir mit einem Pinsel in der Hand die gemütliche Atmosphäre im vogelfreiRAUM.”
Malworkshop im vogelfreiRAUM in Rankweil. Foto: Zugairat Novikova
Obwohl sich die drei Frauen erst letztes Jahr in Österreich kennengelernt haben, denken sie aktuell darüber nach, in Kyiv ein eigenes Gruppenatelier zu eröffnen, in dem sie Workshops durchführen wollen. Für die Zukunft ist auch eine Reihe von Ausstellungen geplant, von denen eine bereits in Arbeit ist. Zu den kommenden Workshops sind sowohl Ukrainer:innen als auch Österreicher:innen eingeladen, sodass Menschen aus verschiedenen Ländern, die aufgrund der Umstände zufällig am gleichen Ort leben, Freundschaften schließen können. Die Verständigung dürfte dabei kein Problem sein: “In den Kursen können wir auf Englisch kommunizieren und wenn dies nicht möglich ist, sprechen wir ganz einfach die Sprache der Kunst.”