Neues aus Innsbruck
“Alles, was hier passiert, ist eine neue Erfahrung für mich.”
Ukrainische Künstler:innen in Feldkirch
Künstler:innen verschiedener Genres aus der Ukraine nahmen im Sommer 2022 in der VILLA MÜLLER in Feldkirch, Vorarlberg, an der für sie konzipierten pARTner Residency teil. Durch die Vermittlung von Office Ukraine wurde hier geflüchteten Künstler:innen mit dem Schwerpunkt zeitgenössische und konzeptuelle Kunst Raum zum Wohnen, Arbeiten sowie für die Präsentation ihrer neu entstandenen Werke zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus erhielten sie Anschluss an die lokale Kunst- und Kulturszene und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit.
Insgesamt fanden drei Runden der einmonatigen Residency in der VILLA MÜLLER statt. Im April/Mai 2022 nahmen die Künstlerinnen Zoya Laktionova, Natalia Revoniuk, Zhenia Stepanenko, Vera Zemlyanikina und Hanna Trofimiva teil. Die Künstlerinnen präsentierten ihre Projekte zum Thema “Future Is Soon” im Rahmen einer Ausstellung, kuratiert von Garry Krayevets, am 19. Mai. Die zweite Runde im Juli – die Interviews mit den Teilnehmerinnen sind hier nachzulesen – wurde von Iryna Kurhanska kuratiert. Die Künstlerinnen arbeiteten einen Monat lang an ihren Kunstwerken zu dem übergreifenden Thema “Verbindungen” und präsentierten diese am 4. August in der VILLA MÜLLER. Es folgte die Augustausgabe mit den Künstler:innen Mark Chehodaiev, Alexandra Kadzevich, Miki-Mike 665, Maryna Shtanko und Marharyta Zhurunova, ebenfalls kuratiert von Iryna Kurhanska. Die Werke, die sich um die Erfahrungen und Erwartungen im Zusammenhang mit Krieg und Gender drehten, wurden am 1. September vorgestellt.
Wir freuen uns, Ihnen nun die Juli-Stipendiat:innen Olesia Papushnikova, Nataliia Khananova, Veronika Kutseva, Svitlana Honcharova (Molly Route), Viktoriia Dovhan (Viktoriia Dovhadze), Nadya Sobko und Nadiia Velychko (Vila) näher vorzustellen! Die Interviews wurden im Juli 2022 während ihres Aufenthalts in Feldkirch geführt.
1. Teilnehmerinnen der 2. Runde des pARTner Residency-Programms und ihre Organisator:innen.
Foto: Oleksandra Sauliak
2. Stipendiat:innen der 3. Runde der pARTner Residency bei ihrem Besuch in Innsbruck, um die lokale Kunstszene und Kultureinrichtungen kennen zu lernen.
Foto: Veronika Riedl

Foto: Sofiia Martseniuk
4. Plakat der Abschlussausstellung der pARTner Residency.
Foto: Sofiia Martseniuk
Olesia Papushnikova, Dnipro
Theater, Performance, Bühnenbild
Mein Traum war es, ein experimentelles, kritisches Theater in meiner Heimatstadt zu gründen. Aus diesem Grund plante ich, für eine Weile nach Kharkiv zu ziehen, da diese Stadt die stärkste Avantgarde-Theatertradition in der Ukraine hat, deren Wurzeln in den 1920er Jahren liegen. Aber seit Kriegsbeginn war ich es, die meinen Freund:innen aus Kharkiv und Umgebung Unterschlupf gewährte. Die Situation in Dnipro war vergleichsweise ruhig. Das dortige Opern- und Balletttheater, für das ich arbeite, hat seine Tätigkeit bereits im April wieder aufgenommen.
Die Residency ist für mich eine Gelegenheit, ein großes Projekt weiterzuentwickeln und an etwas Neuem zu arbeiten. Ich habe mich für mehr als 50 Residencies beworben und bin froh, dass ich dank Office Ukraine nun hier in Feldkirch sein kann. Ich bin beeindruckt von dieser kleinen und gemütlichen Stadt. Die Infrastruktur ist gut und die Kulturszene lebendig.
Alles, was hier passiert, ist eine neue Erfahrung für mich. Ich möchte an den Theaterprojekten hier teilnehmen, aber ich möchte auch nicht für immer als Geflüchtete außerhalb der Ukraine leben. So hoffe ich, in Zukunft an grenzüberschreitenden Projekten arbeiten zu können.


Nataliia Khananova, Kyiv
Künstlerische Keramik, Skulptur, Installation
@lia_khan_ceramics
Für mich ist die Keramik nicht nur ein sehr altes, sondern zugleich auch ein zeitgenössisches Medium. Deshalb interessiere ich mich vor allem für interaktive Keramik und modulares Design.
Ich verließ Kyiv, nachdem ein Flugzeug in der Nähe meines Hauses abgeschossen worden war. Ich verbrachte einige Monate in Lviv: Die dortige Akademie gab mir und meinen Kolleg:innen die Möglichkeit, in ihren Ateliers zu arbeiten, so dass wir kürzlich sogar eine Ausstellung machen konnten.
Die “pARTner Residency” ist meine erste Residency seit Kriegsbeginn. Was mich daran am meisten reizt, ist die Möglichkeit, Künstler:innen aus verschiedenen Bereichen zu treffen und mit ihnen zu arbeiten. Ich denke, dass an solchen disziplinären Schnittstellen viele interessante Ideen entstehen können.
Neben Feldkirch, das an sich sehr schön ist, habe ich auch Bregenz besucht – hier war ich vom Vorarlberg Museum beeindruckt. Im Moment kann ich meine persönliche Zukunft nicht klar sehen, wie wahrscheinlich die meisten Ukrainer:innen. Der Kulturbetrieb in der Ukraine ist unter den gegenwärtigen Kriegsbedingungen sehr zerbrechlich. Ich hoffe, dass ich Möglichkeiten für weitere Projekte in Österreich finden werde.
Veronika Kutseva, Kyiv
Flötistin, Dirigentin
Vor dem Krieg war ich Studentin an einem Konservatorium in Kyiv. Am ersten Tag des Krieges hatten mein Partner und ich das Coronavirus. Das wurde für uns zu einer zweifachen Herausforderung. Noch am selben Abend flohen wir mit einem Auto in die Westukraine, zwei Wochen später reiste ich aus nach Polen, während mein Partner in der Ukraine blieb.
Mir war klar, dass ich mein Studium trotz allem fortsetzen musste, und ich begann, Anfragen an Universitäten und Residencies in vielen Ländern zu schicken. Eines (glücklichen) Tages stieß ich auf die Website des Office Ukraine, die mich mit der Künstler:innen-Community in Feldkirch in Kontakt brachte. Ich bin nun schon seit 3 Monaten in dieser Stadt und habe mich bereits am Vorarlberger Landeskonservatorium eingeschrieben und widme meine gesamte Freizeit dem “Deutschlernen in Lichtgeschwindigkeit”. Außerdem hatte ich einige künstlerische Projekte, die mit Musik und Videokunst zu tun haben, in Planung. Ich freue mich, nun eines davon im Rahmen der “pARTner Residency” umzusetzen.
Mein größtes Glück ist natürlich die Aussicht auf eine hochwertige Ausbildung in Österreich. Da ich nun diese Möglichkeit habe, werde ich hier Zeit verbringen, um nach weiteren interessanten beruflichen Möglichkeiten zu suchen und mich weiterzuentwickeln.


Svitlana Honcharova (Molly Route), Kyiv
Grafik
Am Vorabend des Krieges arbeitete ich wie üblich in meinem Atelier. Als die ersten Angriffe erfolgten, blieb ich noch ein paar Tage in Kyiv, zog dann aber nach Lviv um.
Es war schwierig für mich, mich auf den kreativen Prozess zu konzentrieren, ich konnte nicht zeichnen. So verbrachte ich einige Wochen mit dem Weben von Tarnnetzen in einem der zahlreichen Freiwilligenzentren. Am 18. Tag der militärischen Invasion entstand mein erstes Werk aus dem Krieg. Da ich keine Möglichkeit hatte, in meinem Kyiver Atelier zu arbeiten, begann ich, nach Residencies im Ausland zu suchen. Im Zuge dessen fand ich Informationen über Office Ukraine, füllte das Formular aus und so kam es nun zur ersten Residency in meinem Leben!
Das ist eine völlig neue Erfahrung für mich: an einem Ort in einem fremden Land mit einer Gruppe von Künstler:innen zu leben und zu arbeiten. Wir sind alle so unterschiedlich, aber wir kommen zusammen wie ein Puzzle.
Ich habe 34 Jahre lang in einer flachen Gegend gelebt. Die österreichischen Berge erscheinen mir daher wie ein neues Universum. Ich hoffe, dass ich noch einmal die Gelegenheit haben werde, meinen Dialog mit Österreich fortzusetzen und andere Teile des Landes zu sehen. Ich werde auf jeden Fall in die Alpen zurückkehren.
Viktoriia Dovhan (Viktoriia Dovhadze), Lviv
Fotografie, Video, Mixed Media
@dovhadze
Kurz vor Kriegsbeginn gelang es mir, meine alte psychische Störung in den Griff zu bekommen, und ich begann langsam wieder zu arbeiten: Ich war kurz davor, eine Einzelausstellung zu machen. Doch am 24. Februar packte ich meine Katze und andere Dinge in meinen Rucksack und rannte in die Wohnung meines Freundes. Später gründeten wir eine gemeinnützige Freiwilligenorganisation namens KUKHNIA, in der Künstler:innen und Aktivist:innen Kriegsvertriebenen helfen.
Später merkte ich, dass ich dort an meine Grenzen kam, also suchte ich nach Möglichkeiten im Ausland, um meine kreative Tätigkeit fortzusetzen. Einer der interessantesten Aspekte dieser Residency in Feldkirch ist für mich die Zusammensetzung der Künstler:innen, denn jede:r von uns arbeitet in einem anderen Bereich. Dies bietet die Möglichkeit eines breiteren Dialogs und die Chance, andere Praktiken kennenzulernen und auszuprobieren.
Ich war schon zuvor in Österreich, aber noch nie außerhalb Wiens. Ich bin überrascht über die Dichte des kulturellen Angebots außerhalb der Hauptstadt. Ich dachte, ich komme in eine kleine Stadt, aber es stellte sich heraus, dass ich in Feldkirch mit all den interessanten Veranstaltungen, die hier stattfinden, kaum Schritt halten kann! Feldkirch ist für mich aber auch ein perfekter Ort, um mit meinen Gedanken allein zu sein. Hier kann ich eine gewisse Ruhe finden – dies ist bei uns in der Ukraine nicht mehr möglich.


Nadya Sobko, Lviv
Autor:innenkeramik, Environmental Art
Als professionelle Keramikerin wollte ich meinen Online-Shop mit Autor:innenkeramik eröffnen, aber jetzt habe ich meinen Job verloren und befinde mich in einer ziemlich schwierigen finanziellen und emotionalen Lage.
In den ersten zwei Monaten dachte ich gar nicht daran, an Residencies teilzunehmen, sondern half aktiv als Volontärin, weil ich glaubte, dass der Krieg bald vorbei wäre. Aber schon im Juni spürte ich, dass ich weitermachen musste. Der Wunsch, als Künstlerin zu arbeiten, erwachte schließlich wieder. Irgendwann erfuhr ich von Office Ukraine und hatte das Glück, ein Teil der “pARTner Residency” zu werden.
Ich schätze die Kulturszene in Österreich, es gibt so viele Veranstaltungen und man kann viele gut finanzierte Möglichkeiten für Künstler*innen finden. In Feldkirch ist zwar alles ein bisschen ruhiger, aber trotzdem finden hier richtig viele Kulturveranstaltungen statt! Ich habe den Wunsch, noch ein bisschen länger hier zu bleiben, aber ich vermisse Lviv auch sehr, deshalb werde ich nach der Residency auf jeden Fall wieder nach Hause zurückkehren. Auf jeden Fall ist Österreich unerwarteterweise zu einer der besten Auslandserfahrungen geworden, die ich bisher gemacht habe!
Nadiia Velychko (Vila), Kharkiv
Grafik, Buchgestaltung, Kuratieren
Ich arbeite seit mehr als 15 Jahren als Grafikdesignerin und interessiere mich unter anderem für experimentelle Veröffentlichungsverfahren und Kunstbücher. Außerdem habe ich an der Staatlichen Akademie für Design und Bildende Kunst in Kharkiv unterrichtet. Die Arbeit mit Studierenden ist meine wahre Leidenschaft, denn sie bringen eine unglaubliche Energie mit.
Eine Woche nach Kriegsbeginn wagte ich es, meine Stadt zu verlassen – selbst die Fahrt mit dem Evakuierungszug wurde von ständigem Beschuss begleitet. So landete ich in Lviv, aber schon bald erhielt ich eine Residency in Polen, dann eine weitere. Ich kann nicht nach Kharkiv zurückkehren, deshalb wandere ich von einem Wohnsitz zum anderen, und hier bin ich nun — in Österreich. Die Villa und die Residency selbst bieten komfortable Unterkünfte; ich genieße die hiesige Gesellschaft anderer ukrainischer Künstler:innen.
Ich spüre hier ein großes Potenzial für meine künstlerische Arbeit. Ich mag es, schöne Bücher zu machen, und ich sehe, dass dieser Bereich in Europa sehr gut entwickelt ist. Aber ich vermisse meine Heimat und hoffe, dass ich bald zurückkehren und wieder von dort aus Projekte realisieren kann.
