Über die Repräsentation und Sichtbarkeit ukrainischer Künstler:innen und Kulturschaffender in Österreich zu sprechen, wäre nicht möglich, ohne über ihre Arbeitsbedingungen und den Kunstmarkt zu sprechen. Es ist keine Überraschung, dass die meisten Künstler:innen in einer prekären Lage sind und nur wenige von ihrer Kunstpraxis leben können, selbst wenn sie in der EU geboren wurden und einen europäischen Pass haben. Im Zusammenhang mit Geflüchteten und vorübergehend Vertriebenen ist es wichtig, die Schwierigkeiten zu bedenken, mit denen sie in Bezug auf Sprachbarrieren, Bürokratie sowie fehlende Netzwerke und Kontakte konfrontiert sind. In unserer Frühjahrsausgabe wollen wir die Arbeitslandschaft für ukrainische Künstler:innen in Österreich beleuchten, die Erfahrungen verschiedener Künstler:innen und einige hard facts teilen.

Office Ukraine Wien
Geld in der Kunst: Wie ukrainische Künstler:innen überleben
Laut Statistik leben in Österreich derzeit rund 80.000 Ukrainer:innen. Im Frühjahr waren in Wien 1.647 temporäre Vertriebene beim AMS (Arbeitsmarktservice Österreich) registriert. Darunter befanden sich 42 Personen, die als Künstler:innen registriert waren.
Mit Ende Jänner 2024 waren 6.572 Ukrainer:innen in Wien beschäftigt. Das AMS wies darauf hin, dass es die Beschäftigten nur nach ihrer Nationalität, nicht aber danach beurteilen kann, ob es sich um Vertriebene handelt. Es könnte sich also auch um Ukrainer:innen mit anderen Aufenthaltstiteln handeln. Außerdem besuchen 645 temporäre Vertriebene Kurse beim AMS.
Derzeit werden sie vor allem beim Erlernen der deutschen Sprache und in Anerkennungsverfahren unterstützt. Mit dem Schwerpunkt “Orientierung” bietet das AMS auch ein besonderes Service für ukrainische Frauen: „FAVoritIN_U – Frauenspezifische Arbeitsmarktvorbereitung und -orientierung mit Fokus auf Frauen aus der Ukraine 2024“.
Darüber hinaus hat die österreichische Regierung vor kurzem ein neues Gesetz verabschiedet, das jenen Ukrainer:innen zugutekommt, die länger als zwölf Monate arbeiten und mehr als 1.200 Euro pro Monat verdienen. Sie können eine Rot-Weiß-Rot-Plus-Karte erhalten. Sie wird ukrainischen Vertriebenen eine stabilere Aufenthaltsgenehmigung und zusätzliche Arbeitsperspektiven bieten.
Schwieriger Alltag
In Wien haben wir mit mehreren ukrainischen Künstler:innen gesprochen und sie gefragt, wie sie mit ihrer derzeitigen finanziellen Situation umgehen. Jede:r hat eine andere Geschichte, aber eine Menge schwieriger Alltagssituationen zu bestehen. Soweit es Office Ukraine bekannt ist, leben die meisten Künstler:innen von sozialer Unterstützung und Ersparnissen, andere haben Minijobs; einige kombinieren ihre künstlerische Tätigkeit mit Nebenjobs außerhalb des Kunstbereichs. Ihre Geschichten sind jedoch sehr unterschiedlich. Manche konnten sich in der Ukraine nie vorstellen, von der Kunst zu leben, aber in Österreich haben sie es geschafft.
Kateryna Kurlova aus Charkiw zum Beispiel hat früher Schnittstellen für Handyspiele und Apps entworfen. Seit sie in Österreich lebt, widmet sie sich ganz der Malerei und hat die digitale Kunst hinter sich gelassen. „Bereits in meiner zweiten Woche in Österreich habe ich meine Arbeit bei einer Ausstellung in Gmunden präsentiert und sie für 800 EUR verkauft. Dieser Erfolg ermöglichte es mir, praktisch bei Null anzufangen, neue Materialien zu erwerben und meine kreativen Bestrebungen weiter aktiv zu verfolgen. In der Ukraine hätte ich ohne einen bekannten Namen keine solche Möglichkeit gehabt, meine Arbeiten erfolgreich und gewinnbringend zu verkaufen. Österreich hat sich als sehr aufgeschlossen gegenüber Künstler:innen erwiesen.”
Arina Pryputneva aus Kyiv hatte viele Jahre als angewandte Künstlerin und Kunsttherapeutin in der Ukraine gearbeitet, konnte aber in Österreich kaum eine Möglichkeit finden. „Ich habe keinen einzigen Cent mit meiner Arbeit in Österreich verdient. Meine Möglichkeiten hier sind sehr begrenzt. Ich kann nicht einmal unterrichten oder Kunstworkshops abhalten.“ Arina bringt das mit dem System des Kunstmarktes und Deutschsprachkenntnissen in Verbindung, die viele Ukrainer:innen bisher nicht haben.
Keine Garantie für finanzielle Sicherheit
Danylo Kovach aus Saporischschja, der an zahlreichen Ausstellungen in Europa und darüber hinaus teilgenommen hat, konstatiert, dass der Beruf eines Künstlers / einer Künstlerin keine dauerhafte finanzielle Sicherheit garantiert, ob in der Ukraine oder anderswo auf der Welt. „Wenn ein:e Künstler:in keinen Vertrag mit einer führenden Galerie, einer Institution oder einem Geschäftspartner / einer Geschäftspartnerin hat, die / der sich um alle organisatorischen Fragen kümmert, ist es nicht einfach, von der Arbeit zu leben. Deshalb war es in der Ukraine einfacher, weil es bereits einen Kreis von Akteur:innen gab, die den Künstler:innen halfen, ihr Publikum zu finden“, fügt Danylo hinzu.
Danylo kam 2022 mit seiner schwangeren Frau nach Österreich, wo sie nun ihren Sohn großziehen. Gleich nach seiner Ankunft in Wien hat er sich beim AMS beworben, aber im Bewerbungsformular gab es keine Kategorie für professionelle Künstler:innen. „Meine Frau und ich sind beide junge, ambitionierte Künstler:innen und haben einen in Wien geborenen Sohn, der 20 Monate alt ist und noch nicht in den Kindergarten geht. Daher ist die Integration für uns ein ziemlich schwieriger Prozess. Natürlich sind die Sprachkenntnisse entscheidend. Ich habe versucht, online Deutsch zu lernen, war damit aber nicht sehr erfolgreich. Ich bereitete mich in dieser Zeit auf eine Einzelausstellung vor und verbrachte den Rest der Zeit mit meinem Kind. Wir haben zwei österreichische Freunde, die wir aber zu selten sehen, um regelmäßig deutsch mit ihnen zu üben.. Leider gibt es in Österreich die Tendenz, dass man an einer Kunstuniversität studieren oder ein:e erfolgreiche:r Künstler:in sein muss, um wahrgenommen zu werden“, bemerkt Danylo.
Kateryna Kurlova war von Beginn ihres Aufenthalts in Österreich über das AMS und auf eigene Faust auf Jobsuche. Trotz ihrer Bemühungen war es ihr jedoch nicht möglich, einen geeigneten Job zu finden, der direkt mit Kunst zu tun hatte, da es kein breites Angebot an Arbeitsmöglichkeiten für Künstler:innen gibt und ihre Deutschkenntnisse unzureichend waren.
Stattdessen begann sie, auf eigene Faust Ausstellungen und Verkäufe zu organisieren. „Als ich in Österreich ankam, wurde ich von einer Familie aus Traunkirchen aufgenommen, die mir im neuen Land zur Seite stand. Dank ihrer Hilfe konnte ich meine Arbeiten in meiner ersten Ausstellung zeigen. Mit meinem letzten Geld kaufte ich Leinwand und Farben und schuf in wenigen Nächten einige Bilder. Mein Optimismus und meine harte Arbeit wurden belohnt, als ich mein erstes Werk verkaufte und die Medien auf mich aufmerksam wurden. Dieser Erfolg war für mich eine angenehme Überraschung, denn in der Ukraine war die Nachfrage nach meinen Arbeiten gering. Zu Beginn meines Aufenthalts in Österreich, im ersten Jahr, schien ein stabiles Einkommen im Kunstbereich ohne einen festen Arbeitsplatz in irgendeinem Unternehmen fast unerreichbar. Doch mit der Zeit wurde es für mich immer einfacher, verschiedene Möglichkeiten zu finden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass ich nach und nach neue Kontakte knüpfen und meinen sozialen Kreis erweitern konnte. Sich zu etablieren und einen guten Ruf aufzubauen, erfordert Zeit und Arbeit, aber es zahlt sich schließlich aus“, schließt Kateryna.
Danylo, der regelmäßig ausstellt, sagt, er habe den Eindruck, dass die Österreicher:innen Angst haben, Kunst von Ukrainer:innen zu kaufen, weil sie nicht wissen, ob das überhaupt legal ist. „Künstler:in zu sein ist ein Beruf. Viele Menschen nehmen die künstlerische und intellektuelle Arbeit nicht ernst und verwechseln die Begriffe Hobby und Beruf“, fügt er hinzu.
Die meisten Künstler:innen, mit denen wir sprachen, waren sich einig, dass Österreich derzeit zahlreiche Möglichkeiten für Künstler:innen bietet: verschiedene Arten von Förderungen, Artist Residencies und Atelierräume, aber der Lernprozess, um davon zu profitieren, braucht Zeit. Danylo erwähnt, dass er das letzte halbe Jahr damit verbracht hat, Bewerbungen zu schreiben und sich auf verschiedene offene Ausschreibungen zu bewerben.
Informationen zu Förderungsmöglichkeiten
Office Ukraine informiert die ukrainische Kunstszene regelmäßig über Fördermöglichkeiten in Österreich, darunter auch über die Sonderförderung des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, Öffentlichen Dienst und Sport. Mehr als 200 Künstler:nnen haben bisher Stipendien vom BMKOES erhalten.
Wir haben die Künstler:innen auch gefragt, welche Art von Unterstützung sie brauchen und woran es in Wien mangelt. Arina Pryputneva stellt fest, dass es schwierig ist, Atelierräume zu bekommen. Kateryna Kurlova fügt hinzu, dass der digitale Bereich und alles, was mit der Spieleindustrie in Verbindung gebracht werden könnte, in Österreich nicht wirklich entwickelt ist. Sie ist auch der Ansicht, dass es in Österreich nicht genug Unterstützung für internationale Künstler:innen gibt, insbesondere für Künstler:innen aus Drittstaaten. Sie erwähnt auch einen generellen Mangel an Information, Beratung und administrativer Unterstützung und schätzt deshalb die Unterstützung durch Office Ukraine.
Danylo Kovach formuliert seine Anliegen, auch wenn er deren Realisierung als unrealistisch einschätzt: Er wünscht sich flexible steuerliche Bedingungen für selbständige Künstler:innen, reduzierte Ateliermieten, klar festgelegte Honorare für Einzel- und Gruppenausstellungen und ein staatlich gesichertes Grundeinkommen sowie Online- und Offline-Plattformen, die Künstler:innen mit Flüchtlings-, Migrations- und temporärem Vertriebenenhintergrund präsentieren könnten.
Die Überlegungen spiegeln die aktuelle Situation der Künstler:innen wider, die hoffen, sie werden von denjenigen gehört, die die Kulturpolitik im Land gestalten.
Office Ukraine Graz
„Es ist unklar, wie es nächstes Jahr weitergeht”
Text: Felix Neumann
Im März 2025 endet laut derzeitigem Stand die EU-Massenzustrom-Richtlinie. Die bildende Künstlerin Valeriia Lysenko und die Digital Media Künstlerin Svitlana Zhytnia erzählen, warum ihnen das kommende Jahr Sorgen bereitet und wie sich ihr Leben und Wirken in Graz verändert hat.
Zu Beginn ein kurzer Überblick: Die Massenzustrom-Richtlinie der EU bietet Vertriebenen aus der Ukraine seit März 2022 sofortigen und vorübergehenden Schutz. Sie ermöglicht es abseits eines Asylverfahrens, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, dort zu wohnen und einer Arbeit nachzugehen. Die Richtlinie für die mehr als vier Millionen ukrainischen Vertriebenen in der EU wurde mehrfach verlängert, zuletzt beschloss der EU-Rat im Herbst 2023 eine Fortsetzung bis 2025.1 Damit ist die Höchstdauer von drei Jahren, wie sie in der Richtlinie festgelegt ist, erreicht. Der vorübergehende Schutzstatus endet aus jetziger Sicht am 4. März 2025.2 Was sich für Ukrainer:innen in Österreich dann ändert, steht noch nicht fest.
Eine Möglichkeit wurde im April 2024 im Ministerrat diskutiert: Die österreichische Regierung kündigte an, sie wolle die „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ auch Ukrainer:innen ausstellen. Der freie Zugang zum Arbeitsmarkt soll ihnen so weiterhin erhalten bleiben. Um die Karte zu beantragen, ist es allerdings notwendig, innerhalb von zwei Jahren bereits zwölf Monate lang gearbeitet zu haben. Dabei muss man ein durchschnittliches Netto-Einkommen von mindestens 1.200 Euro erhalten haben.3 Das sei nur bei einem kleinen Teil der in Österreich lebenden Ukrainer:innen der Fall, kritisierte etwa die Caritas. Die „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ sei ein guter Schritt, müsse aber ein Teil einer umfassenden Lösung sein.4 Die Regierung erwartet sich durch die Karte Verbesserungen für circa 7.000 der knapp 50.000 vertriebenen Ukrainer:innen in Österreich im erwerbsfähigen Alter.5
Schon seit zwei Jahren können Ukrainer:innen in Österreich einen Ausweis für Vertriebene beantragen, auch bekannt als “Blaue Karte”.6 Damit verbunden sind Krankenversicherung, Arbeitserlaubnis und eine Grundversorgung, die ein Quartier und Taschengeld, etwa für Verpflegung, beinhaltet. Arbeiten ist für Bezieher:innen der Grundversorgung nur bis zu einer gewissen Zuverdienstgrenze möglich.7 Verdient man zu viel, riskiert man die Grundversorgung oder die Unterkunft zu verlieren. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) schlug in der Vergangenheit bereits vor, bei den Vertriebenen von der Grundversorgung auf Sozialhilfe umzusteigen.8
Die bildende Künstlerin Valeriia Lysenko lebt seit November 2022 in Graz und konnte bereits zahlreiche Projekte realisieren. Eine ihrer künstlerischen Arbeiten war bereits auf der Titelseite der Kleinen Zeitung zu sehen. Nach einem dreimonatigen Aufenthalt in Wien ist auch Svitlana Zhytnia, Digital Media Künstlerin, im Sommer 2022 nach Graz gezogen. Ähnlich wie Valeriia verfügt auch sie über ein ausgeprägtes Netzwerk in der Kunst- und Kulturszene.
Im Folgenden sprechen die Künstlerinnen Valeriia und Svitlana von der doppelt prekären Arbeitssituation als Künstlerin mit Vertriebenenstatus in Österreich und den damit verbundenen Zukunftsängsten.
Wovon lebt ihr gerade als Künstlerinnen, wie verdient ihr Geld?
Svitlana: Es ist besser als gedacht. Als ich die Ukraine verlassen habe, wollte ich nur den Bomben entkommen. In Österreich fand ich nicht nur Zuflucht, sondern konnte auch künstlerisch wachsen. Üblicherweise suche ich um unterschiedliche Förderungen von Bund, Land und Stadt an. Dadurch werden Projekte realisier- und benötigtes Material leistbar. Ich bin ständig auf der Suche nach Kooperationspartner:innen und Netzwerken. Manchmal sind die Honorare höher, manchmal geringer. Im Frühling, Sommer und Herbst hat meine Branche beispielsweise Hochsaison.
Valeriia: Ich stimme vollkommen zu, dass wir Künstler:innen über kein stabiles Einkommen verfügen. Arbeitsintensive Phasen mit vielen Projekten gleichzeitig und projektarme Phasen wechseln einander ab. Meine Haupteinnahmequellen sind Residencies, aktuell beziehe ich beispielsweise ein dreimonatiges Stipendium – das hätte es in der Ukraine nicht gegeben. Künstlerische Arbeiten und Print-Experimente sind dadurch leistbarer. Ich bewerbe mich für viele Ausschreibungen, Stipendien, Zuschüsse und Ausstellungen. Außerdem beteilige ich mich an Workshops und verkaufe meine künstlerischen Arbeiten.
Welches Thema beschäftigt euch gerade?
Valeriia: Die Zukunft bzw. das kommende Jahr beschäftigen mich sehr. Es ist noch unklar, wie es nach dem Ende der Vertriebenen-Richtlinie weitergehen wird, die gilt vorerst nur bis März 2025. Das bereitet mir Angst.
Was wünscht ihr euch, was soll sich ändern?
Svitlana: Ich hoffe und wünsche mir, dass wir Ukrainer:innen auch nach dem Ende der Vertriebenen-Richtlinie weiterhin Unterstützung in Österreich erhalten. Vor allem, weil ich nicht glaube, dass der Krieg in der Ukraine nächstes Jahr enden wird. Sicherheit für ein Leben in der Ukraine wäre aus aktueller Sicht nicht gewährleistet. Valeriia kann beispielsweise nicht zurück nach Mariupol, da die Stadt besetzt und zerstört ist.
Valeriia: Dort habe ich kein Zuhause mehr. Durch die Zerstörung und den Krieg wurden meine Wurzeln gekappt. Vorhandene Arbeit und eine kleine Wohnung erlauben es mir jedoch, in Österreich „anzukommen“.
Svitlana: Ich bin auch davon überzeugt, dass Ukrainer:innen einen wichtigen Beitrag für die gesellschaftliche Entwicklung in Österreich leisten können. Viele talentierte Künstler:innen aus der Ukraine bereichern die österreichische Kunst- und Kulturszene, was auch wertgeschätzt wird.
Also wollt ihr in Österreich bleiben, auch wenn der Krieg hoffentlich bald endet?
Valeriia: Ja, da auch ein Großteil meiner Familie und Freund:innen nicht mehr in der Ukraine beheimatet ist und aktuell in unterschiedlichen Ländern lebt. Ich habe hier noch kein Heimatgefühl, dennoch fühlt sich Graz immer stärker nach einem Zuhause an.
Svitlana: Wegen meiner Familie würde ich neben Österreich auch gerne in der Ukraine leben. Regelmäßiger physischer Kontakt zu meiner Mutter, meinem Bruder und meinen Nichten wäre mir wichtig. In Österreich gibt es jedoch mehr Möglichkeiten, mich als Künstlerin weiterzuentwickeln als beispielsweise in einem Nachkriegsland, in welchem Kunst nicht an erster Stelle steht.
Das Leben als Künstlerin kann sehr herausfordernd sein. Was treibt euch dabei an?
Svitlana: Nachdem ich in der Vergangenheit in unterschiedlichen Professionen und Bereichen tätig war, realisierte ich, dass genau das meine Leidenschaft ist – bei Musikveranstaltungen, unabhängig vom Genre zu arbeiten. Damit habe ich für mich den Sinn des Lebens gefunden.
Valeriia: Ist man im Kunst- und Kulturbereich tätig, dann gibt es keine Grenzen. Dadurch ist es möglich, persönlich und beruflich zu wachsen. Es ist nicht immer leicht, aber die damit verbundenen Tätigkeiten und Herausforderungen sind unglaublich spannend.
- Flüchtlinge aus der Ukraine: EU-Mitgliedstaaten vereinbaren Verlängerung des vorübergehenden Schutzes – Consilium (europa.eu)
- siehe Artikel 4 & 6 sowie Ukraine: Europäischer Rat verlängert Vorübergehenden Schutz bis 04.03.2025 – Berlin hilft! (berlin-hilft.com) sowie Flüchtlingskoordinator Achrainer: Ukraine-Vertriebene im Wartedilemma (profil.at)
- https://www.diepresse.com/18354025/rot-weiss-rot-karte-plus-steht-kuenftig-ukraine-fluechtlingen-offen (10.04.2024 APA0221); Regierung öffnet Arbeitsmarkt für bereits beschäftigte Vertriebene aus Ukraine zur Gänze – Inland – derStandard.at › Inland
- Caritas: Umstieg auf regulären Aufenthaltstitel für ukrainische Vertriebene bleibt für den Großteil der Vertriebenen ungeklärt: Caritas Österreich
- siehe Fußnote 3
- Blaue Karte: Ausweis für Vertriebene » alle Infos | AMS; Produktionsstart der Karte für Ukraine-Vertriebene (bmi.gv.at)
- Ukraine: Caritas hilft Flüchtlingen in der Steiermark: Caritas Steiermark (caritas-steiermark.at)
- Grundversorgung wird zum Integrationsproblem für Ukraine-Geflüchtete – Arbeitsmarkt – derStandard.at › Wirtschaft
Office Ukraine Innsbruck
House of Europe
Die Europäische Union unterstützt den ukrainischen Kultursektor bereits seit vielen Jahren. Eine Vielzahl von Institutionen, Initiativen, Plattformen, Unternehmen und Einzelpersonen arbeiten täglich daran, kreativen Menschen in den Bereichen Kultur und Bildung Möglichkeiten zu bieten und Brücken zwischen der Ukraine und Europa zu bauen. Eines dieser Projekte ist House of Europe. Im Dezember 2023 hatten wir die Gelegenheit, mit ihnen über ihre Aktivitäten zu sprechen.
Franziska Simon – Leiterin des Programms
Ilona Demchenko – Managerin Internationale Zusammenarbeit und InfrastrukturförderungenE-Mail: ask@houseofeurope.org.ua
Anschrift: Vul. Lavrska 16 L, 01015 Kiew, Ukraine
Was ist House of Europe?
Franziska Simon: House of Europe ist ein EU-finanziertes Projekt, das 2019 ins Leben gerufen wurde und seitdem vom Goethe-Institut Ukraine umgesetzt wird. Es zielt darauf ab, Ukrainer:innen, die in den Bereichen Kultur, Bildung, Kreativwirtschaft, junge Medien und soziales Unternehmer:innentum tätig sind, mit ihren Kolleg:innen in der EU zu vernetzen, den fachlichen und kreativen Austausch zu fördern und die Kapazitäten der in diesen Bereichen Tätigen auszubauen. Meines Wissens war es 2019 das größte Projekt zur Förderung von Kultur, Kreativwirtschaft und Bildung, das die EU jemals außerhalb der EU initiiert hat.
Wie sah das Konzept am Anfang aus und wie hat es sich im Laufe der Zeit verändert?
Ilona Demchenko: Es gab ein Programm namens Culture Bridges, das 2015/2016 vom British Council ins Leben gerufen wurde und das Fördermittel und Capacity Building für den Kultur- und Kreativsektor in der Ukraine bot, als die Gespräche über die Stärkung der Beziehungen zwischen der Ukraine und Europa konkreter wurden. Es war das erste große Förderprogramm für ukrainische Kulturprojekte. Als wir mit der Entwicklung von House of Europe begannen, konnten wir auf den Erfahrungen aus diesem Programm aufbauen.
Ilona betont, dass House of Europe im Laufe der Zeit viel über die Bedürfnisse seiner Zielgruppe gelernt hat. Dementsprechend hat sich das Projekt als Reaktion auf das Feedback der Förderempfänger:innen und Teilnehmer:innen ständig weiterentwickelt.
Ilona: Das Projekt kann und wird sich anpassen, und ich denke, dass diese Flexibilitäteine große Stärke darstellt.
Franziska: Über die Jahre konnten wir eine Struktur aufbauen, die Flexibilität ermöglicht. Als Covid kam, hat das Projekt seine Strukturen genutzt, um mit der Situation umzugehen, und das hat uns auch nach dem 24. Februar 2022 geholfen. So konnten wir zum Beispiel 1,5 Millionen Euro für die Soforthilfe für unsere Partner:innen und Zielgruppen umwidmen.
Wie hat sich House of Europe nach der Eskalation des Krieges durch Russland verändert?
Ilona: Die Sache ist die, dass dieses Projekt von der EU finanziert wird. EU-Förderprogramme sind nicht gerade für ihre Flexibilität bekannt und ich war sehr beeindruckt, dass wir weitermachen konnten. Das war eine Geste, die viel über die zugrunde liegenden Werte aussagt. Sowohl uns als auch unseren Partner:innen wurde eine gewisse Flexibilität zugestanden. Zum Beispiel wurden unsere Stipendiat:innen, die das Geld vor der vollständigen Invasion erhalten hatten, gefragt, ob sie das Geld behalten wollen, um weiter an dem Projekt zu arbeiten, oder ob sie es lieber zurückgeben wollen. Und einige Leute wollten die Projekte trotz des Krieges wirklich durchführen.
Wir hatten Stipendiat:innen in Mariupol, die nicht nur selbst fliehen konnten, sondern auch vielen anderen geholfen haben, die Stadt zu verlassen, was sehr beeindruckend ist.
Und im ersten Jahr der großangelegten Invasion konnten wir auch eine Reihe interessanter Projekte unterstützen. Wir haben das internationale Dokumentarfilmfestival für Menschenrechte DocuDays UA bei der Archivierung von Videos über Kriegsverbrechen unterstützt. Ein weiteres Beispiel ist ein Programm zur Unterstützung von Müttern, die in Luftschutzkellern entbunden haben. Und natürlich haben wir bei der Evakuierung von Museumssammlungen aus den am stärksten betroffenen Regionen geholfen. Die Menschen haben so viele mutige Dinge getan, um Kunst zu retten, und wir sind froh, dass wir dazu beitragen konnten.
Franziska: Es war so beeindruckend, die Stipendiat:innen zu sehen, die zu Beginn des großflächigen Krieges gesagt haben, dass sie ihre Projekte weiterführen wollen. Das war ein Symbol des Widerstands. Und auch zu sehen, wie schnell sich die Menschen an die Situation angepasst haben und wie schnell sie zum Beispiel von Kulturarbeit auf Freiwilligenarbeit und Nothilfe umgestiegen sind. Es war beeindruckend, wie schnell sie sich organisiert haben.
Wie sieht aus der Sicht von House of Europe die Situation der ukrainischen Künstler:innenin der Ukraine derzeit aus?
Ilona: Es gab eine große Mobilität sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes. Bei den männlichen Künstlern ist die Situation natürlich anders. Einige von ihnen sind zur Armee gegangen, andere nicht, sind aber trotzdem in der Ukraine geblieben. Einige von ihnen waren außerhalb des Landes, als der großangelegte Krieg ausbrach, und je nachdem, wie sie ihre Rolle in der aktuellen Situation sahen, entschieden sie sich, zurückzukehren oder nicht.
Die Arbeit im Kunst- und Kulturbereich kann sehr prekär sein. Die meisten Künstler:innen hatten keine festen Verträge, und natürlich spüren sie die finanzielle Instabilität sehr stark. Andererseits gibt es jetzt mehr Möglichkeiten für sie, weil auch in der EU mehr Interesse an Kunst aus der Ukraine besteht. Es gab eine ganze Reihe von Ausstellungen, die sich mit dem Krieg auseinandergesetzt haben.
Die Zusammenarbeit ist aktiver geworden, würde ich sagen. Diese ohnehin schon turbulenten Zeiten sind also für Künstler:innen gerade jetzt besonders turbulent.
Und natürlich beeinflusst der Krieg die Themen, die in der Kunst behandelt werden. Auf der einen Seite gibt das, was jetzt passiert, vielen Künstler:innen mehr Material, mit dem sie arbeiten können, auf der anderen Seite sehe ich, dass viele von ihnen sehr bedrückt sind, aber einige von ihnen arbeiten immer noch, selbst unter den gegenwärtigen Umständen.
Franziska: Das Interesse an ukrainischer Kunst und Kultur war und ist tatsächlich größer als früher. Das hat der ukrainischen Kunstszene Auftrieb gegeben. Gleichzeitig kann es für ukrainische Künstler:innen in der Ukraine schwierig sein, an Fördermittel zu kommen. Deshalb sind die Programme von House of Europe zur Unterstützung von Künstler:innen und Kreativen so wichtig für die Ukrainer:innen. Und ich denke, es ist jetzt noch wichtiger als im letzten Jahr, ukrainische Kunst im Ausland zu präsentieren, denn leider lässt die Aufmerksamkeit der EU-Länder und anderer Länder etwas nach. Für die Ukraine, für ukrainische Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen ist es sehr wichtig, weiterhin Kunst und Kultur aus der Ukraine und die ukrainische Perspektive zu zeigen.
Mich würden auch Einblicke in die Kommunikation mit den Künstler:innen interessieren. Was brauchen sie? Wie gehen die Institutionen in der EU auf ihre Bedürfnisse ein? Und was sind die häufigsten Fragen zur europäischen Kunstszene?
Ilona: Ich würde sagen, dass sich die Bedürfnisse inhaltlich nicht geändert haben. Es besteht immer Bedarf an finanziellen Mitteln, an neuem Wissen und an neuen Kontakten. Diese Dinge wurden vor und nach der großangelegten Invasion benötigt. Ich denke, sie werden jetzt noch dringender gebraucht. Wir sprechen hier nicht über Interessen, sondern über Bedürfnisse. Die Situation für viele Menschen hat sich verändert, sie ist nicht stabil. Die Nachfrage ist groß, und das hängt auch mit der wirtschaftlichen Lage in der Ukraine zusammen.
Zu den häufig gestellten Fragen gehört der Wunsch nach mehr Informationen, zum Beispiel darüber, wie man in anderen Ländern an Fördermittel kommt. Das Netzwerk wächst wirklich, und das ist eines der positiven Ergebnisse der Situation. Das ändert zwar nichts an der Tatsache, dass die Lage sehr trist ist, aber diese Entwicklung wird für die Menschen in Zukunft nützlich sein.
Welches Feedback erhalten Sie von den Künstler:innen nach Abschluss der Programme? Was sind ihre Pläne? Wollen sie in Europa bleiben oder in die Ukraine zurückkehren?Franziska: Die Teilnehmer:innen schicken uns Berichte über ihre Aktivitäten und ihre Pläne für die Zukunft. Nicht alle unsere Programme sind in der EU, die meisten sind in der Ukraine oder für diejenigen, die in der Ukraine leben. Viele Teilnehmer:innen, die sich für Programme in der EU beworben haben, sagen, dass sie die Möglichkeit hatten, entweder neue Kontakte in der EU zu knüpfen oder alte wieder aufleben zu lassen.
Ilona: Ich denke, es ist wichtig zu sagen, dass wir keine Programme für längere Auslandsaufenthalte haben. Soweit wir wissen, sind die meisten Teilnehmer:innen wieder in die Ukraine zurückgekehrt. Wir wissen natürlich, dass Künstler:innen, die jetzt im Ausland sind, sehr oft mit Projekten zusammenarbeiten, die in der Ukraine durchgeführt werden.
Wir sehen zum Beispiel, dass viele europäische Organisationen, die im Kulturbereich arbeiten, Ukrainer:innen einstellen, die länger in ihrem Land bleiben, also funktioniert diese Diffusion. Ich frage die Leute oft auf persönlicher Ebene, ob sie bleiben oder zurückkommen wollen, und was ich bisher gelernt habe, ist, dass sie diese Frage zu diesem Zeitpunkt nicht beantworten können. Sie wissen es nicht. Genauso wie wir nicht wissen, ob wir bleiben werden oder nicht. Diese Art von Emigration ist nicht freiwillig. Ich denke, dass wir in Zukunft, wenn der Krieg vorbei ist, etwas anbieten können. Es werden noch viel mehr Menschen zurückkehren, auch diejenigen, die jetzt denken, dass sie es nicht tun werden. Diese Ungewissheit ist das Schwierigste.
Was sind die Pläne von House of Europe für die Zukunft?
Franziska: Wir werden weiterhin unsere Programmlinien umsetzen. Stipendien für Einzelpersonen, Übersetzungsstipendien, Mobilitätsförderung, Unterstützung der kulturellen Infrastruktur, internationale Kooperationsprojekte, Workshops für Kulturschaffende und Menschen aus dem Bildungsbereich, Konferenzen, Aktivitäten für unsere Alumni-Community. Wir werden auch ein Programm zur Unterstützung von Unternehmen aus der Kreativwirtschaft starten und die Organisation kleinerer Festivals in den Regionen wieder aufnehmen.
House of Europe ist in der Ukraine zu einem sehr bekannten Projekt geworden. Es verfügt über mehrere Social-Media-Kanäle und Interessierte können uns auf Facebook, Telegram und Instagram folgen. Wir haben auch einen YouTube-Kanal, auf dem wir relevante Videos über unsere Arbeit und unsere Stipendiat:innen zeigen. Und ein Newsletter mit Informationen über unsere Programme und andere relevante Angebote anderer Organisationen wird einmal pro Woche verschickt und hat über 15.000 Abonnent:innen. In den sozialen Medien haben wir über 55.000 Follower:innen und nutzen unsere Reichweite nicht nur für die Bewerbung unserer eigenen Programme.
Einer der Schwerpunkte von House of Europe in diesem Jahr sind Initiativen zur Förderung des Kulturerbes in der Ukraine.
In dieser Situation ist das Kulturerbe besonders gefährdet, beschädigt oder gänzlich verloren. Dies erfordert wirklich Aufmerksamkeit, und da es auch einer der Schwerpunkte der Europäischen Union ist, treffen sich die Bedürfnisse und Interessen beider Seiten. Wir werden einige Stipendien vergeben, um Menschen zu unterstützen, die sich in ihrer Arbeit mit Museumssammlungen beschäftigen. Wir wollen Menschen, die an Themen im Zusammenhang mit dem Kulturerbe arbeiten, mit Expert:innen in der EU zum Austausch und Wissenstransfer zusammenbringen.
Wir haben bereits Partner:innen von Europeana, die im letzten Jahr mit uns zusammengearbeitet haben. Es handelt sich um eine Initiative, die sich auf die Digitalisierung des Kulturerbes in der EU konzentriert.
Im Jahr 2022 haben wir einen Online-Hackathon für Projekte zu verschiedenen kulturellen Themen organisiert, an dem mehr als 1000 Menschen teilnehmen wollten. Wir haben Aktivist:innen, die bereit sind, mehr zu tun, und wir hoffen, den Hackathon mit neuen Themen, neuen Leuten, neuen Expert:innen und neuen Ideen zu wiederholen.
Franziska: Und natürlich hoffen wir, dass wir das Projekt auch nach 2024 weiterführen und ausbauen können.
Vielen Dank für das Interview!
Interviewerin: Anastasiia Diachenko / Office Ukraine