Office Ukraine Wien
toZOMIA – ein Kunstprojekt, das versucht Kriegstraumata zu lindern
Diese Ausgabe unseres Newsletters ist Projekten für ukrainische Familien und Kinder gewidmet. Seit dem Beginn des großflächigen Einmarsches in die Ukraine sind Zehntausende Frauen mit Kindern nach Österreich gekommen. Eines der größten Probleme war der Zugang zu Schulen, Kindergärten und die Fortsetzung ihrer Ausbildung. Und obwohl viele ukrainische Schulen weiterhin aus der Ferne betrieben wurden, war es nicht einfach, sich Wissen anzueignen und sich in einem fremden Land niederzulassen. In verschiedenen österreichischen Städten entstanden unabhängige Projekte, die sich mit diesen Problemen auseinandersetzten. Der Kunstraum toZOMIA ist eines von ihnen.

© toZOMIA
Jeden Mittwoch treffen sich Kinder und Erwachsene aus der Ukraine in dem kleinen, aber gemütlichen toZOMIA-Kunstraum in Wien. Die Eltern bringen ihre Kinder zum Zeichnen, Malen und zu anderen Workshops. Bevor die Meisterkurse beginnen, werden Tische gerückt, Stühle und Sessel aufgestellt. In wenigen Minuten füllt sich der Raum mit Kinderstimmen. Während die Kinder plaudern, unterhalten sich die Erwachsenen über ihre eigenen Angelegenheiten, jemand schenkt Tee ein, jemand teilt Kontakte zu einem Friseur mit, jemand wartet, bis sie / er an der Reihe ist, eine:n Psychotherapeut:in aufzusuchen. Auf den ersten Blick scheint alles ein wenig chaotisch, aber alles hat seine eigene innere Logik. Anna Snisar arbeitet mit Erwachsenen, Diana Podgorna mit den jüngsten Kindern, Olga Zhurakovska mit älteren Kindern, und Marianna Galytska nimmt eine:n Besucher:in zu einer Therapiesitzung in einem separaten Raum im Obergeschoss mit. Sie alle kamen nach dem 24. Februar 2022 nach Wien.
Vom Anfang des toZOMIA-Projekts
Katerina Kolesnikova, eine Mutter von drei Kindern, kam am dritten Tag der Invasion aus Tscherkassy nach Wien. Sie sagt, sie komme regelmäßig zu toZOMIA, weil sie hier ein Ventil, Gesellschaft und kreative Energie finde. Ihre Kinder haben bereits Freundschaften mit Gleichaltrigen geschlossen, und Katerina tauscht sich mit anderen Müttern darüber aus, wo sie einen guten Arzt, ein Geschäft oder einen Salon für eine Maniküre finden.
Die Künstlerin Anna Khodorkovskaya, eine der Initiatorinnen des Projekts und Mitglied des toZOMIA, sprach über die ersten Tage der Initiative. Zu Beginn der groß angelegten Invasion ging Anna regelmäßig zum Hauptbahnhof und half Flüchtlingen aus der Ukraine mit Übersetzungen. Sie diskutierte mit ihren Kolleg:innen vom Solidaritätskollektiv darüber, wie man den Menschen in dieser Situation besser helfen könnte.
„Mir fiel auf, dass viele Frauen mit Kindern ankamen. Zuerst dachten wir, wir würden nur Workshops machen und ich würde übersetzen, aber dann beschlossen wir, ein Gemeindetreffen zu veranstalten und die Menschen zu fragen, was sie in dieser Situation brauchen. Zum ersten Treffen kamen über hundert Menschen mit Kindern. Es war ein totales Chaos, jemand bat darum, eine Matratze zu verschieben, jemand brauchte einen Wasserkocher und ein Bett. Zu dieser Zeit gab es keine Schulen und Kindergärten, die ukrainische Kinder aufnahmen. Und eine Mutter sagte, es wäre toll, mit einem Psychologen zu sprechen. Wir beschlossen, diese beiden Formate zu kombinieren: Psychotherapie und Kunstunterricht“, sagt Anna.
Aktivitäten für Kinder und Erwachsene
Das toZOMIA-Projekt hat eine künstlerische und eine soziale Ausrichtung. Seine Gründer:innen und aktiven Teilnehmer:innen sind Irene Lucas, Christoph Euler, Barbara Eichhorn, Antoine Effroy und Anna Khodorkovskaya. Anfangs lief alles auf ehrenamtlicher Basis, später bekam das Projekt Sponsor:innen von solidarity matters.
Einer der Gäste des ersten Treffens empfahl die Künstlerin Anna Boyko aus der Stadt Bila Tserkva, die früher Kurse für Kinder geleitet hat, später aber in die Ukraine zurückgekehrt ist. Marianna Galytska, eine Psychologin aus Odesa, wurde in einer der zahlreichen Freiwilligengruppen auf Telegram gefunden. Sie begann, Gruppen für Erwachsene zu leiten.
Mit der Zeit begann das Projekt zu wachsen und neue Kunstpädagog:innen anzuziehen. Einige von ihnen wurden über den Telegram-Kanal Office Ukraine gefunden. Alle Besucher:innen von toZOMIA kommunizieren über eine Gruppe in Telegram miteinander, inzwischen sind es mehr als 300 Teilnehmer:innen.

© toZOMIA
Die Gemeinschaft des Hauses Gleis 21, in dem sich toZOMIA befindet, stellt eine Bibliothek für therapeutische Sitzungen zur Verfügung, der Künstler Ulrich Jordis stellt zeitweise sein Atelier für Workshops zur Verfügung. Dort hat die neu gegründete ukrainische Kreativgruppe Der Treffpunkt aus dem toZOMIA Kunstraum zusammen mit Anna Khodorkovskaya Mosaikbänke hergestellt, die später in der Ausstellung Über das Neue im Belvedere 21 gezeigt wurden.
Bleiben oder zurückkehren?
Marianna Galytska, promovierte Psychologin, kam am 7. März 2022 gemeinsam mit ihrem Sohn aus Odesa nach Wien. Um nicht untätig zu sein, beschloss sie, therapeutische Gruppen zur Traumabearbeitung zu leiten, eine Aufgabe, die sie über ein Jahr mit etwa zwanzig regelmäßigen Teilnehmer:innen ausübte. Nach der Sommerpause kam die Gruppe nicht mehr zusammen, was Marianna als Zeichen dafür wertet, dass die Arbeit gut gemacht wurde, auch von den Teilnehmer:innen. Marianna arbeitet jetzt als Einzeltherapeutin und betreut zwei Personen einmal pro Woche, aber alle Plätze sind schon Monate im Voraus ausgebucht.
„In der Therapiegruppe haben wir viel geweint, viel erzählt, wer uns verlassen hat und wie, warum und wie wir hierher gekommen sind. Mit der Zeit sind diese Anfragen aber ausgeblieben, und ich treffe nur noch äußerst selten Klient:innen, die mir erzählen, wie sie weggegangen sind. Die häufigsten Anfragen beziehen sich auf die Anpassung. Die beliebteste Frage ist „Was tun?“, „Bleiben oder zurückkehren?“. Im Allgemeinen kann man die Menschen in diejenigen einteilen, die ein Leben haben, einige Verbindungen, Arbeit, und es stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, zurückzukehren. Der zweite Teil sind Menschen, die eigentlich kein Leben haben, sondern nur auf etwas warten. Das sind Menschen, die nicht Deutsch lernen, nicht nach einem Job suchen. Nicht, weil sie schlecht oder faul sind, sondern weil sie sich nur zu Hause in der Ukraine sehen.
Viele Fragen beziehen sich auf die Kinder. Was tun, wenn die Familie in Österreich, der Ehemann in der Ukraine und die Familie so lange getrennt ist? Außerdem sind viele Frauen alleinstehend, sie stehen vor der Frage, wie sie ihr persönliches Leben hier organisieren sollen. Ob man jemanden wie mich sucht oder versucht, eine andere Kultur zu verstehen, ist eine Frage der Mentalität“, erzählt Marianna.
Arbeit mit posttraumatischen Belastungen
Die Psychotherapeutin stellt fest, dass mehr als 80 Prozent der ukrainischen Bevölkerung in der Kriegssituation traumatisiert wurden, ein Trauma für diese und die nächste Generation. Die Menschen hatten zu Beginn der Invasion eine akute Belastungsstörung, aber das Trauma ging nicht weg, sondern wurde chronisch, also geht es darum, mit posttraumatischen Belastungen zu arbeiten. „Man kann Menschen mit Kunst helfen, aber man kann sie nicht vollständig heilen. Auch eine Psychotherapie kann manchen Menschen helfen, aber nicht allen. Aber ich sehe, dass es denjenigen, die regelmäßig hierher kommen, besser geht“, sagt Marianna. Sie empfiehlt eine Psychotherapie und stellt fest, dass es umso schwieriger ist, eine psychische Belastung zu beheben, je länger sie andauert.
„Eine Mutter, die sich in einem schwierigen emotionalen Zustand befindet, wirkt sich definitiv auf ihr Kind aus. Es ist auch wichtig, die Quelle seiner Ressourcen zu finden, es kommt ein Punkt, an dem wir anfangen, auf Reserve zu leben, wir geben nur Energie aus, bekommen sie aber nicht zurück. Man muss etwas für sich selbst finden, aus dem man Ressourcen schöpfen und Energie bekommen kann, damit man die Kraft hat, weiterzumachen“, sagt die Psychotherapeutin. Kreativität und die Möglichkeit, ihre Emotionen nonverbal auszudrücken, werden für manche Menschen zu einer solchen Quelle.

© toZOMIA
Anna Snisar aus Charkiw sagt, dass Zeichnen immer auch Psychotherapie ist. Während des Unterrichts beruhigen sich sogar Erwachsene und ändern ihre Stimmung. „Hier malen wir mit Wasserfarben, andere Materialien sind teuer. Und der Zweck des Unterrichts ist es, die Eltern zu beschäftigen, während sie darauf warten, dass ihre Kinder den Kunstunterricht beenden. Zu uns kommen Menschen, die der Kunst nicht gleichgültig gegenüberstehen. Wir malen nicht nur, sondern reden auch viel, helfen uns gegenseitig mit Kontakten und wichtigen Informationen. Es ist ein Bereich, in dem man frei über verschiedene Themen reden kann“, sagt sie. Anna kam mit ihrem jüngsten Sohn hierher, während ihr Mann und ihr ältestes Kind in der Ukraine blieben. Sie war noch nie zuvor ins Ausland gereist. Der Umzug fiel ihr nicht leicht, aber sie ist Österreich dankbar für das Taschengeld, das sie mit ihrem Sohn erhält, und die Unterkunft, die sie über die Diakonie erhielt. In Charkiw leitete Anna ein Kunstatelier für Erwachsene. Sie möchte so bald wie möglich in ihre Heimat zurückkehren, aber im Moment lebt sie in Wien. Hier fühlt sie sich, wie sie sagt, zu Hause.
Ein bisschen Ablenkung
Diana Podgorna aus Kyiv hat ihr ganzes Leben lang Möbel, Innenräume und Bauwerke entworfen. Nach Österreich kam sie durch einen Zufall. „Meine Kinder waren in den Ferien und sie wurden vom Krieg überrascht, als sie im Ausland waren. Meine Tochter war schwanger. Ich wollte nicht hierher kommen, aber als meine Tochter anrief und sagte, dass sie ins Krankenhaus musste, kam ich. Sie hatte schwierige Wehen, und anderthalb Monate lang half ich ihr mit einem anderen Kind. Als sie im Krankenhaus lag, sah sie auf Telegram eine Einladung zuZOMIA“, sagt sie. Dann erhielt sie einen Anruf von Anna Khodorkowskaja, und Diana begann, Kinder ab dem dritten Lebensjahr zu unterrichten. „Kreativität lenkt von negativen Gedanken ab. Hier können Kinder sich ausdrücken und lernen; wir unterdrücken nicht ihren Wunsch, ihre Kreativität zu zeigen. Am Anfang haben alle nur ukrainische Flaggen gemalt, dann hat sich der Fokus ein wenig geändert. Sie haben die Ukraine und das Grauen, das uns widerfahren ist, nicht vergessen, aber sie haben sich ein wenig ablenken lassen. Wir tun unser Bestes, damit sie sich davon erholen“, sagt Diana.
Olga Zhurakovska ist eine Künstlerin mit einer langen Geschichte. Ihr ganzes Leben war mit Kunst verbunden, aber mit dem Beginn der Invasion musste sie von Kyiv nach Wien ziehen. Wie viele toZOMIA-TeilnehmerInnen stellte auch sie ihre Arbeiten im Belvedere 21 aus. Olga glaubt, dass es in Österreich viel mehr Freiheit im Bereich der Kunst gibt, es gibt viele Ausstellungen, die zum Nachdenken anregen. In der Ukraine gibt es ihrer Meinung nach mehr Können, aber in der modernen Welt reicht Können allein nicht aus. Sie würde gerne öfter an Ausstellungen teilnehmen, sie malt ständig. In regelmäßigen Abständen kommen Künstler:innen zu toZOMIA, um Meisterkurse zu geben, in denen sie verschiedene Techniken erlernen kann.
Ein Raum für Aktivitäten
„Wir hatten eine Textilcollage mit Doroteya Petrova, ich hielt einen Workshop über Mosaike, Cristina Fiorenza über Keramik, Dasha Zaichanka fertigte Kopfbedeckungen aus Pappe an, Plakate zum Thema Klima, Irene Lucas gab einen Workshop über Solarküche, Maria Pylypenko über Zeichnen“, sagt Anna Khodorkovskaya. Dasha Zaichanka, eine Designerin und Illustratorin, hatte schon vor langer Zeit von dem Projekt erfahren und wollte einen Workshop für Kinder geben: „Ich schlug den Kindern vor, Masken, Hüte und Mützen aus Pappe zu basteln und sie zu bemalen. Zu dem Workshop brachte ich einige Variationen von Beispielen mit, was man alles machen könnte. Etwa zwanzig Personen nahmen an dem Workshop teil. Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen. Die einen wollten das Beispiel exakt kopieren, die anderen haben sich etwas Eigenes ausgedacht, zum Beispiel einen Topfhut , einen Kürbis oder eine Rittermaske.” Dasha sagt, es sei nicht ihre Aufgabe, zu zeigen, wie man etwas macht, sondern den Kindern Raum und Zeit zu geben, ihre Ideen zu verwirklichen und ihnen die Möglichkeit zu geben, wilde und ungewöhnliche Dinge zu gestalten, und dafür sei Pappe ideal.
Nach Angaben der Organisator:innen wird sich das toZOMIA-Projekt je nach Situation weiterentwickeln. Sie sind bereit, sich den wechselnden Anforderungen der Besucher:innen anzupassen. Viele Menschen wollen, dass es weitergeht. Derzeit treffen sich hier jeden Mittwoch mehr als dreißig Menschen, die bereit sind, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen.