„Laut bleiben und sichtbar machen“
Photo: Verena Nagl
Nadja Ayoub, Leiterin des Kunstraum Schwaz (vormals Galerie der Stadt Schwaz), steht bereits seit Beginn der Initiative Office Ukraine in engem Austausch mit dem Innsbrucker Büro. Die engagierte Kuratorin sprach mit uns über ihre Beweggründe, den Austausch mit ukrainischen Künstler:innen und wie der Krieg ihre kuratorische Praxis veränderte.
Im vergangenen Jahr hat Nadja Ayoub bereits zahlreiche Veranstaltungen und Projekte mit ukrainischen Künstler:innen organisiert und gestaltet, weitere Projekte sind in Planung. Ein wichtiger Moment war eine Veranstaltung im Kunstraum Schwaz, das aus Anlass des 24. Februars in Kooperation mit Office Ukraine Innsbruck organisiert wurde. „Wir zeigten den Film ‚The Distant Barking of Dogs‘ von Simon Lereng Wilmont. Ich empfand es als sehr wichtig, Ende Februar gemeinsam mit anderen kulturellen Einrichtungen auf diesen Tag aufmerksam zu machen und Künstler:innen aus der Ukraine sprechen zu lassen, abseits der medialen Berichterstattung. Der Dokumentarfilm ‚The Distant Barking of Dogs‘ zeigt uns einen anderen Einblick in den Krieg. Er zeigt uns den Alltag eines Kindes. Er zeigt uns das, was nicht in den Nachrichten zu sehen ist und vermittelt ein Gefühl, was es bedeutet, dort zu leben.“
Außerdem ist Nadja Ayoub Jurymitglied des Artist in Residence Programms der Stadt Schwaz und des diesjährigen medienfrische-Festivals: „Bei beiden wurden Künstler:innen aus der Ukraine eingeladen. In Schwaz überzeugte Alina Panasenko, Filmemacherin aus Kiew mit ihrer feinfühligen Auseinandersetzung mit den Bergehalden Tirols und des Donbas, aus dem sie ursprünglich kam.“
Durch das Office Ukraine Innsbruck lernte sie auch die Kulturwissenschaftlerin und Kuratorin Iryna Kurhanska im Mai 2022 in Innsbruck kennen. „Gemeinsam mit ihr kuratiere ich die Ausstellung ‚gestures of archiving‘, die im Herbst 2023 im Kunstraum Schwaz gezeigt wird. Insgesamt nehmen sechs Künstler:innen daran teil, drei davon aus der Ukraine.“
Die Kontakte zu ukrainischen Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen knüpfte sie großteils in dem kurzen Zeitraum seit Beginn des großflächigen Krieges im Februar 2022. Sie erinnert sich noch gut an die von Iryna Kurhanska kuratierte Office-Ukraine-Veranstaltung ‚Where to go?‘ im Mai 2022 im Künstler:innenhaus Büchsenhausen, die sie näher in Berührung mit der ukrainischen Kunstszene brachte. „Zoya Laktionova zeigte ihren Dokumentarfilm Territory of Empty Windows (2020). Es war ein merkwürdiger Abend, so kurz nach Ausbruch des Krieges, dessen eigentliche Geschichte schon soviel früher begann.“
Der Austausch mit ukrainischen Kulturakteur:innen und die Auseinandersetzung mit neu aufgeworfenen Fragen ist seitdem Bestandteil ihrer kuratorischen Arbeit geworden. „Grundsätzlich empfinde ich den Austausch mit Künstler:innen oder Kulturarbeiter:innen, egal woher sie kommen und unter welchen Umständen, als einen bereichernden Moment. Kunst ist schon immer als Vehikel der Zeit zu sehen, als Transporteurin, Vermittlerin, Beobachterin. Ihr Anspruch ist der des Sichtbarmachens, des sich Öffnenden und des ‚offen-bleibenden‘. Es wäre aber nun falsch zu sagen, all diese Veranstaltungen im Kunstraum Schwaz mit Künstler:innen aus der Ukraine, die inzwischen stattgefunden haben, oder die Ausstellung ‚gestures of archiving‘, waren schon immer so geplant. Die Situation des Krieges hat auch in meiner kuratorischen Praxis vieles verändert. Die Vorstellung von Europa hat sich verändert und was dieses ‚Europa‘ überhaupt bedeutet, innerhalb seiner eigenen Grenzen. Wer wird gesehen und wer nicht? Alle Menschen, die ich durch diese Veränderungen kennengelernt habe, alle Gespräche, die ich mit ihnen geführt habe, haben mich positiv beeinflusst. Aus einigen Begegnungen sind Freundschaften entstanden.“
Die Beweggründe für Nadja Ayoubs Engagement sind vielfältig und schließen den globalen Kontext mit ein: „Die Frage: ‚Where to go?‘ bleibt. Nicht nur für Menschen aus der Ukraine, sondern für so viele aus allen Teilen der Erde, die aufgrund von Krieg, Ausbeutung, Diskriminierung, Klimawandel usw. gezwungen sind, ihr Zuhause zu verlassen. Ich halte es für unabdingbar, sich diesen Kontexten weiter zu widmen, im Austausch zu bleiben, laut zu bleiben und sichtbar zu machen. Diesbezüglich stellen Initiativen wie das Office Ukraine eine wichtige Anlaufstelle dar. Sie verknüpfen und vernetzen, bringen zusammen und machen aufmerksam. Sie bilden eine offene Gemeinschaft und sind wesentlich für die erste Frage: Wo sollen wir anfangen?“
Nadja Ayoub ist zuversichtlich, dass viele der neu entstandenen Beziehungen zwischen der österreichischen und ukrainischen Kunstzene langfristig bestehen bleiben. „Zumindest für den Kunstraum Schwaz kann ich sagen, dass noch einige Projekte in Zusammenarbeit mit ukrainischen Künstler:innen folgen werden.“
Iryna Kurhanska im Gespräch mit Alina Panasenko in Kunstraum Schwaz. Photo: Verena Nagl
Durch ihre Arbeit trägt sie wesentlich dazu bei, dass der Krieg in der Ukraine und die Stimmen ukrainischer Kulturakteur:innen nicht in Vergessenheit geraten. Das rege Interesse und das Feedback der lokalen Öffentlichkeiten berührt und bestärkt die Leiterin des Kunstraums. „Die Resonanz der Besucher:innen in Schwaz war stets eine positive“, bemerkt Nadja Ayoub. „Die Menschen reagierten emotionaler, betroffener und teilten ihre Sorgen und Ängste in Bezug auf den Krieg mit uns. Es ist greifbarer, einem Menschen gegenüber zu sitzen, der aus dem Kriegsgebiet kommt, als tägliche Nachrichten aus den Medien zu lesen, die so viel Wesentliches aussparen und oft nur einseitige Berichterstattung widerspiegeln. Ihr oder ihm zuzuhören, wie sie/er über ihre/seine Arbeiten spricht, bedeutet ein vollkommenes Einlassen, ein ‚jetzt bin ich hier und kann nicht wegschauen‘. Besonders beim Artist Talk ‚Myth of the Landscape‘ mit Alina Panasenko am Ende ihres Aufenthaltes in Schwaz wurde das spürbar. Noch einige Tage danach kamen Menschen aus der Umgebung, um sich ihre Arbeiten anzusehen und um mit uns über den Krieg zu sprechen. Das war ein berührender Moment.“
